Viel Freiheit für die Senioren
Azubi Patrick Wehlert, Einrichtungsleiter Gerhard Binder, Bewohnerin Stilla Girg, Azubi Anna Lena Queiser und Pflegedienstleiterin Tanja Konrad (von links )Foto: Dagmar Fuhrmann
Binder ist Leiter des Caritas-Seniorenheims Berching und bekommt die Folgen der Pandemie in vielfältiger Weise zu spüren. Unter anderem dann, wenn es darum geht, dass neue Bewohner aufgenommen werden sollen oder müssen. "Die Angehörigen der zukünftigen Bewohner haben Angst, dass sie ihre Verwandten nicht mehr besuchen können", schildert Binder die Sorgen der Menschen. In der Berchinger Einrichtung gibt es hierfür keinen Grund: Bewohner können von Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr und am Wochenende und an Feiertagen von 13 bis 18 Uhr besucht werden. Möglich machen dies die Einlasskontrollen, die unter großem organisatorischen Aufwand bewerkstelligt werden. "Wir könnten es uns auch einfach machen und die Besuchszeiten auf zwei Stunden täglich beschränken", so Binder.
Auch 2020 und 2021 viel gemacht
Aber es sei ihm wichtig, dass sich die ihm anvertrauten Menschen trotz aller widrigen Umstände, die Corona mit sich bringen, so wohl wie möglich fühlen. Und er hofft, dass er diese Freiheit noch länger bewerkstelligen kann, denn selbstverständlich ist er an Vorschriften gebunden und die Lage ändert sich momentan bekanntlich täglich. Wie sehr das Schauerbild, das von Pflegeheimen in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, an der Realität vorbei geht, zeige alleine die Zahl der Ausflüge und Veranstaltungen, die im vergangenen Jahr unternommen wurden. "Wir haben bereits 2020 und erst recht 2021 so viel gemacht, wie es irgend möglich war, um den Bewohnern einen anspruchsvollen Lebensabend zu bieten."
In den vergangenen Monaten ist es Binder und seinem Team offenbar gelungen, vielen künftigen Bewohnern und ihren Angehörigen die Ängste zu nehmen, denn im Gegensatz zu einigen anderen Einrichtungen ist das Haus momentan voll besetzt, es gibt auch bereits wieder eine Warteliste. Das ist aus mehreren Gründen erfreulich. Zum einen haben die Bewohner wieder mehr soziale Kontakte zu Altersgenossen, zum anderen ist dies für das Haus selber wichtig. "Wir sind auch ein Wirtschaftsbetrieb", sagt Binder.
Der Pflegesatz ist so ausgelegt, dass eine 98prozentige Auslastung gegeben sein muss." Vor diesem Hintergrund sei es für ihn schwierig, wenn sich Bewohner nur sehr zögerlich für einen Einzug in das Caritas-Seniorenheim entscheiden. Wir können es uns einfach nicht leisten, ein Zimmer 14 Tage lang ohne Einnahmen zu reservieren."
Konkurrenz um Personal
Zum vielbemühten Szenario vom Pflegenotstand gehöre auch, dass das Caritas-Seniorenheim mit privaten Wettbewerbern in Konkurrenz um das Personal stehe. "Mit leeren Zimmern kann man eben kein Personal angemessen bezahlen." Eine ausgebildete Altenpflegefachkraft verdient laut Binder bei der Caritas 40 000 Euro brutto. Hinzu kommt noch die private Altersrente, die sich am Ende des Berufslebens mit 800 Euro Zusatzrente bezahlt machen kann. Aber auch hier gilt: Geld ist nicht alles. Der Beruf habe so vieles zu bieten. "Man bekommt sehr viel Dankbarkeit zurück. Er ist krisensicher, vielseitig in der Tätigkeit und auch in der Arbeitszeitgestaltung. Man kann viele Fort- und Weiterbildungen wie Wundmanager, Gerontofachkraft, Praxisanleiter, Palliativfachkraft, Bereichs-, Pflegedienst und Heimleitung absolvieren. Die Caritas zahlt alle Fortbildungen zu 100 Prozent inklusive Fahrtkosten.
Und mit der neuen Ausbildung zum Pflegefachmann und zur Pflegefachfrau kann man europaweit anerkannt in allen Kliniken und Seniorenheimen arbeiten", nennt Binder zahlreiche Möglichkeiten zum beruflichen Weiterkommen. Kurzum: Für jemanden, der gerne mit Menschen zu tun hat, sei dies ein wunderbarer Beruf.
Schließlich hängt auch das Wohl der Bewohner von zugewandten und engagierten Mitarbeitern ab. Dennoch bleibt es ein großer Schritt, in ein Seniorenheim zu wechseln. Das ist Binder sehr wohl bewusst. Umso wichtiger sei es aber, dass diese Entscheidung rechtzeitig getroffen wird. "Die Leute sollten eher kommen und nicht auf den letzten Drücker, wann immer dies möglich ist", so sein Appell. Auf der Straße werde er oft gefragt, warum die Aufnahme der Angehörigen so lange dauere. "Das liegt oft daran, weil der künftige Bewohner sich nicht entscheiden kann und mehrmals absagt. Wir sind keine Notaufnahme, die Menschen sollen hier leben und zusätzlich betreut werden."
Anspruchsvolles Aufnahmesystem
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, gibt es ein anspruchsvolles Aufnahmesystem, zu dem auch die Erfassung der Biografie gehört. Umso schwieriger ist es, wenn eine Aufnahme sofort erfolgen muss.
Übrigens werden alle Bewohner aufgenommen, der Impfstatus spielt hierbei keine Rolle. Wohl aber die Frage, wie dringend die Aufnahme ist. Berchinger Bürger oder die Angehörigen von Berchingern haben Vorrang vor Auswärtigen ohne Angehörige. Das Berchinger Heim ist nämlich auch bei Großstädtern beliebt. Beispielsweise in München ist laut Binder der Eigenanteil bei der Heimunterbringung um einige hundert Euro teurer. "Wir haben aber schlechte Erfahrungen gemacht mit Angehörigen, die von weit her kommen. Zum Beispiel dann, wenn akute Entscheidungen anstehen und niemand erreichbar ist."
Wie sehr das Berchinger Seniorenheim ein Ort zum leben ist, zeigt sich beispielsweise an einem sonnigen Sonntag im Garten der Einrichtung, wenn Bewohner mit Besuchern plaudern und Besucher mit anderen Besuchern. Das vermittelt das gute Gefühl der Geborgenheit in einer Kleinstadt. Alles andere als ein Ort des Schreckens.